Wenn Freunde gemeinsam Geschichte machen

In Neuburg geht man seit jeher „mit der Zeyt“. Motor vieler Aktivitäten lebendiger Stadtgeschichte ist der über 100 Jahre bestehende Verkehrsverein

Alle zwei Jahre versetzt das Neuburger Schloßfest die Einwohner der Ottheinrichstadt und ihre Gäste in die Zeiten vergangener Fürstenherrlichkeit. Das mittlerweile größte Renaissance-Historienspektakel im deutschen Raum nimmt die Gäste und die Veranstalter mit auf eine Reise in die wechselvolle Geschichte der Jungen Pfalz. Wenn tausende Neuburgerinnen und Neuburger und auch immer mehr Gäste in ihr „Gwand“ schlüpfen, sind sie keine Besucher mehr. Sie sind als Musikanten, Edelleute, Gaukler, Handwerker, Gesandte, Baader, Geistliche, Steckenreiter, Bauern, Ritter, Stadtwachen oder allerley Volk in den Gassen und auf den Plätzen der Historischen Altstadt unterwegs.
Für diesen Zeitsprung von über 500 Jahren ist der Verkehrsverein „Freunde der Stadt Neuburg“ verantwortlich. Wenn eine ganze Stadt ihre Geschichte feiert, koordiniert, organisiert und konzipiert er das gesamte Fest und alle Darbietungen. Der Steckenreitertanz, Reiterspiele, Musik- und Theaterdarbietungen, Gaukler und Spielleute, Handwerker, Feuerschlucker, Fanfarenzüge, die Händler, Kunsthandwerker und Musizierenden lassen die Zeiten Ottheinrichs wiederauferstehen. Auch heuer heißt es – endlich – wieder „Jungpfalz Neuburg, vivat hoch“. Bis zum 27. bis 29. Juni, dem ersten Schloßfest-Wochenende, und dem 2. Wochenende vom 4. bis 6. Juli sind es nur noch ein paar Monate. Und die Vorbereitungen laufen bei allen Akteuren und Organisatoren bereits auf Hochtouren.

Kultureller Wiederaufbau

Das Neuburger Schloßfest ist nicht die einzige Erfolgsgeschichte des Verkehrsvereins. Christkindlmarkt oder Neuburger Schloßweihnacht, Stadtführer und Kultursponsoring – mit diesen Aktivitäten trägt man seit Jahrzehnten zum guten Ruf Neuburgs als Kulturstadt bei. Damit folgt man einer Vision, die mittlerweile 112 Jahre jung ist: Als sich am 28. März 1913 im traditionsreichen Gasthaus „Zur Rennbahn“ rund um den Fabrikanten und Architekten Magistratsrat Franz Hoffmann ein Verein von 85 Mitgliedern im Gründungsjahr formiert, hatte man sich zum Ziel gesetzt, ein vitales kulturelles Gegengewicht zu den Kriegsjahren zu formen: Kulturelle Vielfalt, heimatliche Schönheit – mit diesem Anspruch ist der Verkehrsverein auch nach über 100 Jahren jung, einfallsreich, neugierig und kreativ geblieben. Denn: „Neben der Pflege der Kultur und der Traditionen wollen wir mehr Besucher in unser schönes Neuburg locken und dafür begeistern“, betont Friedhelm Lahn.

Über die Jahrzehnte hat der Verkehrsverein in Neuburg viele Spuren hinterlassen: Arbeitete man anfangs eng mit dem 1914 gegründeten Kneippverein zusammen, um Neuburg zu einem Kurzentrum werden zu lassen und hatte damit bis in die 30er Jahre sehr großen Erfolg, richtete man im Jahr 1955 eine beeindruckende 450-Jahr-Feier des Fürstentums Pfalz-Neuburg aus. Der Steckenreitertanz als zentrale Aufführung jedes Neuburger Schloßfestes hatte damals seine gefeierte Premiere im festlich geschmückten Schloßhof.

Seit dem Jahr 1976 sind die „Freunde der Stadt Neuburg“ aus dem kulturellen Veranstaltungskalender der Ottheinrichstadt nicht mehr wegzudenken. Auf Initiative von Fritz Seebauer, Anton Sprenzel, Alois Thumann und dem damaligen Oberbürgermeister Theo Lauber begann man das erste „richtige“ historische Schloßfest vom 25. bis 27. Juni. Und 2005 knüpfte man nochmals in besonderem Maße an 1955 an: Anlässlich des 500-jährigen Bestehens der Pfalz Neuburg organisierte der Verein im Jahre 2005 das Festspiel „Ottheinrich Pfalzgraf zu Neuburg“ im Schlosshof. Im selben Jahr erhielt der Verein auch den Kulturpreis der Ottheinrichstadt. „In einer Stadt wie Neuburg, in der ein äußerst reges Vereinsleben herrscht, in der eine Vielzahl von Vereinen als Kulturschaffende eine wesentliche Säule unseres so reichen Kulturlebens sind, ist dieser Preis die Würdigung langer aktiver Kulturarbeit unserer Bürgerinnen und Bürger über Jahrzehnte hinweg“, fasste Laudator Walter Friemel als damaliger Kulturreferent das Engagement der „Freunde der Stadt Neuburg“ zusammen.

Die stimmungsvolle Neuburger Schlossweihnacht
Die stimmungsvolle Neuburger Schlossweihnacht

Zauber der Weihnacht

Der Neuburger Christkindlmarkt am Karlsplatz ergänzte seit 1981 bis 2018 den Weihnachtsmarkt in Neuburgs Innenstadt. Von Anfang an war das 2. große Abenteuer des Verkehrsvereins von Erfolg gekrönt: Tausende Besucher erfreuten sich an zwei Adventswochenenden am nostalgischen Flair des vorweihnachtlich geschmückten Karlsplatzes. Kunsthandwerk, feine Gaumenfreuden und ein stimmungsvolles Rahmenprogramm aus Konzerten, Ausstellungen, Lesungen und dem Engagement ehrenamtlich tätiger Vereine wie UNICEF, Rotary oder Lions ließen eine Adventszeit wiederaufleben, wie man sie aus Kindertagen kannte. Da der Verkehrsverein seit 2012 sein adventliches Engagement auch auf das Fürstliche Residenzschloss erweitert hatte, war die Entwicklung hin zur romantischen „Neuburger Schlossweihnacht“ im Advent 2019 ebenso konsequent wie begeisternd.

Vielfältig engagiert

Der Verkehrsverein ist ein eigenständiger, von der Stadt Neuburg unabhängiger, gemeinnütziger Verein. Er engagiert sich auch als Verleger von Kirchenführern oder Büchern wie 1996 dem Schloßfestbuch, als finanzieller Förderer von Ausstellungen oder Spender, wie zum Beispiel beim Stadtmuseum. Bei allen Aktivitäten ist der Verein selbstlos tätig; er verfolgt nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke.
Aus dem Verkehrsverein haben sich neue Vereinigungen entwickelt: Steckenreiter, Fanfarenzug, Hofmusik, Bauerntänzer und Reigenkinder tragen mit ihrer Spielfreude, ihrem Kostümreichtum und ihrem Esprit ebenso wie Hoftänzer, Amici della Danza, Stadtwache und Fahnentänzer zum Gelingen jedes Schloßfestes bei.
Die Neuburger Stadtführerinnen und Stadtführer prägen als weiteres Kind des Verkehrsvereins seit 1977 das Gesicht der Ottheinrichstadt. Auf Schritt und Tritt begegnen dem Einheimischen und den vielen Besuchern und Zugezogenen Zeugen der Stadtgeschichte. Als Botschafter Neuburger Lebensgefühls sind sie es, die Touristen und Gäste bei einer Führung begleiten und sich dafür einer sechsmonatigen anspruchsvollen Ausbildung unterziehen. Die Neuburger Stadtführerinnen und Stadtführer sorgen dafür, dass der erste Eindruck von der ehemaligen Residenzstadt oft der Beginn einer wunderbaren Freundschaft ist.