Seitenwechsel

Sein Gerechtigkeitsgefühl und sein großes Verantwortungsbewusstsein begleiten Jonas Krzyzanowski als Schiedsrichter und als Polizist

Mit 21 Jahren sind viele jungen Menschen gerade mitten in ihrer Findungsphase. Nach dem Schulabschluss und der Ausbildung stehen sie als Berufseinsteiger entweder am Anfang ihrer Karriere oder befinden sich noch mittendrin im Studium. Selten kommt es vor, dass man schon als Kind oder als Jugendlicher wusste: „Das ist genau das, was ich immer machen möchte.“

Wie lange gehört Fußball schon zu deinem Leben? 

Jonas Krzyzanowski: Eigentlich seit ich denken kann. Wenn meine Familie erzählt, wie ich laufen gelernt habe oder wenn man Bilder von früher anschaut, dann war da immer auch ein Ball dabei. Und so ist es eigentlich die ganze Zeit geblieben. 

Ich bin in einer Fußballer-Familie groß geworden; die Begeisterung für Fußball hat mich von Anfang an angesteckt. Mein Vater Christian ist Fußballtrainer, genauso wie mein Onkel Peter. Er ist außerdem Vorsitzender des VfR Neuburg. Bei diesem Verein spielt auch mein Cousin Nikolai im Mittelfeld. Mein Bruder Maximilian spielt beim FC Ingolstadt im Nachwuchsleistungszentrum und mein Bruder Linus bei der SpVgg Joshofen-Bergheim. 

Ich selbst bin mit sechs Jahren zum BSV Neuburg gekommen. Da habe ich in der G-Jugend angefangen und habe danach in der D-Jugend der damaligen JFG Neuburg mitgespielt. Dann durfte ich auch schon in der C-Jugend mitspielen.

Jonas ist in einer Fußballer-Familie groß geworden.
Jonas ist in einer Fußballer-Familie groß geworden.

Aber es blieb nicht beim Spiel auf dem Platz? 

Jonas Krzyzanowski: Nein, zu diesem Zeitpunkt kam eigentlich schon die Schiedsrichterei dazu. Mir hat gefallen, dass man dabei die Seiten wechselt. Es geht auf diesem Posten nicht ums Gewinnen zwischen zwei Mannschaften, die sich als Gegner gegenüberstehen. Es braucht diese neutrale Instanz, wenn es manchmal hoch hergeht und die Emotionen mit ins Spiel kommen. „Kann man es wirklich nie jemand recht machen?“ – diese Frage hat mich beschäftigt. Denn Fußball gerecht machen und Entscheidungen nachvollziehen können, das war mir schon als Spieler wichtig. Und das hat mich am Schiedsrichter-Job fasziniert. Es geht mir noch immer um die Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen, um Gerechtigkeit. 

Ich habe schnell festgestellt, dass mir Pfeifen mehr Spaß macht. Das liegt sicher auch in der tollen Schiri-Gruppe in Neuburg. Ich habe mit 12 Jahren den Neulings-Lehrgang besucht. Dort ist man ein Wochenende lang unterwegs. Man lernt dort das Regelwerk in der Theorie und in der Praxis kennen. Und bald konnte ich schon meine ersten Spiele für die D-Jugend und die C-Jugend pfeifen. Am Anfang wirst du da von einem erfahrenen Schiri unterstützt. Er ist dabei und stärkt dich und zeigt dir, wie du auf dem Platz den Überblick behältst und in deiner Entscheidungsfindung immer besser wirst. Bei der Assistenten-Schulung lernt man dann die Aufgaben des Schiedsrichterassistenten immer weiter zu vertiefen. Und die körperliche Fitness ist natürlich auch sehr
wichtig – schließlich muss man immer im Schiedsrichter-Team auf der Höhe des Spielgeschehens sein.

Wie schafft man es dann, auf dieser Position aufzusteigen? 

Jonas Krzyzanowski: Wenn man anfängt als Schiedsrichter und in der Jugend spielt, gibt es noch keine Unterscheidung in Linienrichter oder normaler Schiedsrichter. Aber später, wenn man im Bereich „Herren“ auf dem Platz ist, dann fängt diese Unterscheidung an. Und je mehr du dann durch Leistung überzeugst, desto höher steigst du im Klassement der Fußball-Ligen auf. Dabei ist auch die Bewertung der eigenen Leistung Sache eines neutralen Schiedsrichters – allerdings ab der Kreisliga von einer anderen Schiedsrichter-Gruppe als deiner eigenen. 

Mein Weg führte mich dann über die Bezirks- und Landesliga in die Bayernliga. Aktuell bin ich parallel eingesetzt. Als Schiedsrichter pfeife ich in der Regionalliga und als Linienrichter in der Dritten Liga. In der Regionalliga geht der Amateurbereich langsam in den Profifußball über. Als Schiedsrichter kommen ab dieser Klasse andere Aufgaben auf dich zu. Die Taktik gewinnt an Bedeutung und man hat es auch schon mit hauptberuflichen Fußballspielern zu tun. 

Beim DFB-Sichtungsturnier
Beim DFB-Sichtungsturnier

In der Dritten Liga wird das Schiedsrichter-Sein noch einmal aufwändiger: Wir reisen einen Tag vor dem Spiel als Schiedsrichter-Team an. Auch im Hotel sind wir unter uns und nutzen den Tag für die Vorbereitung des Spiels. 

Dabei nehmen in der Vorbereitung, je höher man in den Spielklassen aufsteigt, die Videoanalyse und die Spielanalyse eine immer stärkere Rolle ein. Für uns ist das als Schiedsrichter Team eine große Hilfe, denn es gelingt uns, dadurch die Spielszenen klar wahrzunehmen. Wir schauen uns die Positionen und die Spielszenen an; wir beobachten auch die Rolle der Spielenden im Spielgeschehen. Schließlich könnte es sein, dass man jemanden als Ansprechpartner benötigt, um einen Streit auf dem Platz zu schlichten. 

Mein persönlicher Höhepunkt auf dem Platz war die Leitung des U20-Länderspiels Deutschland gegen England in Regensburg. Auch wenn es ein unbeschreibliches Gefühl war, vor dem Spiel die Nationalhymne zu hören und die Bedeutung des Spieles schon in Richtung „Schiedsrichter in einem Bundesliga- oder Länderspiel“ spürbar war, möchte ich jetzt aber einen Schritt nach dem anderen gehen. Dass ich mich weiterentwickeln kann und mit jedem Spiel das erleben kann, was mir so wichtig ist … das füllt mich aus und motiviert mich, weiter zu wachsen.

 U20 Länderspiel Deutschland gegen England
U20 Länderspiel Deutschland gegen England

Bekommst du als Schiedsrichter auch etwas vom Medienrummel mit? 

Jonas Krzyzanowski: Je mehr man in den Ligen höherklassig spielt, desto mehr kommt die Medienpräsenz dazu. Fußball interessiert einfach sehr viele Menschen. Und deshalb hat Fußball auch eine besondere Verantwortung. Es ist wichtig, dass alle, die den Fußball repräsentieren, sich dieser Verantwortung bewusst sind. Sie verkörpern auch Vielfalt. Und ebenso wie die Förderung der Jugend im Fußball eine wichtige Rolle ist, es auch im Schiedsrichterteam. Gerade wenn man neu dazukommt, kann man sich in der eigenen Schiedsrichtergruppe immer den Rückhalt holen, den man braucht. Es gibt gerade, wenn man höher pfeift, immer Ansprechpartner, die dich begleiten und unterstützen. Ich schätze es auch sehr, dass wir im Team aufeinander sehen und wir uns auch im Spielverlauf aufeinander verlassen. Wichtige Entscheidungen werden gemeinsam gefällt – und da spielt natürlich die Erfahrung eine Rolle, aber auch die beste Sicht auf das Spielgeschehen. 

Gerade wenn man die Spieler analysiert und die Spielverläufe und vielleicht auch das eine oder andere gelesen hat über vorherige Spiele, muss man trotzdem frei im Kopf bleiben für das aktuelle Spiel. Wenn sich zum Beispiel jemand viele gelbe Karten erlaubt hat, dann darf man ihn nicht abstempeln und ihn für die nächsten Spiele besonders unter die Lupe nehmen. Es ist immer wichtig auf der neutralen Warte zu bleiben und das Spielgeschehen aus einer gewissen Distanz zu beobachten. Ab dem Anpfiff spielt nur der Fußball auf dem Platz eine Rolle. Da geht es nur darum, die Regeln zu wahren und ein gerechtes Spiel zu pfeifen. Dass trotz dem Bestreben, immer nach bestem Wissen und Gewissen Entscheidungen zu fällen, auch mal eine falsche Beurteilung passiert, ärgert niemand mehr als unser Schiedsrichterteam. 

Am Spieltag selbst geht es natürlich nur um das Match. Auch wenn im Vergleich zu meinen Anfängen in der Kreisklasse als Spieler plötzlich tausende Zuschauer zum Spielgeschehen dazukommen, habe ich mich mittlerweile daran gewöhnt. Am dritten Tag kehre ich zurück nach Neuburg. Übers Jahr sind es wirklich viele Ortswechsel, die durch diese Schiedsrichter-Tätigkeit zustandekommen. Ich reise quasi quer durch die Republik. Das ist natürlich alles eine Frage der Organisation, aber ich bin sehr, sehr dankbar, dass all das mit meinem Dienstplan vereinbar ist.

Jonas Einsatz beim Einsatz FC Augsburger gegen Ajax Amsterdam
Jonas Einsatz beim Einsatz FC Augsburger gegen Ajax Amsterdam

Das wäre schon das nächste Stichwort: Wie kannst du das mit deinem Beruf vereinbaren? 

Jonas Krzyzanowski: Ich bin sehr froh, dass ich durch meine Tätigkeit in der Polizeiinspektion Neuburg die Möglichkeit habe, meine Begeisterung für die Schiedsrichterei mit meinem Beruf zu vereinbaren. 

So in der 9./10. Klasse stand für mich fest, dass ich Polizist werden möchte. Ich habe dann Praktika gemacht und bin nun bei der PI Neuburg gelandet. Für mich hat sich also auch der Berufswunsch sehr früh herauskristallisiert. Aber anders als beim Fußball, wo mein ganzes Umfeld diesen Sport ausübt, bin ich der erste Polizist in meiner Familie. 

Meine Ausbildung habe ich bei der Bereitschaftspolizei in Eichstätt gemacht und war dort unter der Woche eingesetzt. Aber durch die Nähe zu Neuburg habe ich den Draht zu meinem Zuhause nicht verloren. Nach dem Abschluss konnte man sich dann bewerben, wo man eingesetzt werden möchte und ich habe ein Versetzungsgesuch nach Neuburg gestellt und bin jetzt hier als Polizeimeister eingesetzt. 

In meiner Ausbildung in Eichstätt habe ich tolle Voraussetzungen für die Arbeit in der Polizeiinspektion mitbekommen. Im Laufe der Ausbildung wird jeder Anwärter und jede Anwärterin neben dem Vermitteln von Grundlagen in Theorie und Praxis auf das Leben nach der Ausbildung vorbereitet. Aber man landet nicht einfach so bei der Bereitschaftspolizei. Es gibt einen Einstellungstest und ganz normale Unterrichtsfächer in der Ausbildung. Außerdem spielt die Fitness eine besondere Rolle und man muss wirklich körperlich immer auf der Höhe sein. Dazu gibt es auch einen Einstellungstest. Es werden zudem die Sprachfähigkeiten und Grundfähigkeiten überprüft. Daneben wird die körperliche Fitness im Rahmen der Sportprüfung überprüft. Der Einstellungstest ist für jeden gleich aufgebaut und jeder Bewerber sowie jede Bewerberin hat die gleiche Chance, diesen zu absolvieren. 

Aber als Polizist trifft man keine eigenen Entscheidungen bei einem Rechtsverstoß, sondern man ermittelt. Man bereitet Entscheidungen vor. Unparteiisch zu sein, gerecht zu sein und eine Situation nachzuvollziehen, das sind wichtige Dinge im Bereich des Polizeiwesens. Man ist als wichtiger Bestandteil des Rechtsstaates dazu aufgerufen, in Erfahrung zu bringen, was wirklich an einem Tatort passiert ist. 

Im Bereich von Neuburg erlebt man nicht nur Körperverletzungen oder Diebstahl oder Verkehrsunfälle, sondern teilweise auch Schicksalsschläge. Das lässt einen nicht kalt. Es ist wichtig, auch so ein Geschehen nicht nur als „Akte zu erfassen“, sondern für sich persönlich aufzuarbeiten. Es ist sehr wichtig, dass die psychologische Schulung von Anbeginn in der Ausbildung eine Rolle spielt. Es gibt Hilfen und Stellen, die einen dann unterstützen, es gibt auch Seelsorger oder neutrale Hilfen. Aber was man in der Theorie bespricht, bekommt eine andere Komponente, wenn man es in der Praxis durchlebt hat. Ich bin jetzt im zweiten Jahr in Neuburg tätig und da habe ich schon einiges erlebt. Es ist wichtig, dass man nach manchen Einsätzen mit etwas Abstand das Geschehen verarbeiten kann und auch wieder ein Stück die Luft rauslassen kann. 

So wie in meiner Schiedsrichter-Gruppe tragen mich auch die Freundschaften und die Kameradschaft in der Polizeiinspektion. Dieses Miteinander hat mich auch schon in der Bereitschaftschaftspolizeiabteilung Eichstätt sehr begeistert. Sich gegenseitig auffangen, sich unterstützen und sich den Rücken stärken, das ist nicht nur bei uns in Neuburg der Fall.

Woher kommen dieses Gerechtigkeitsgefühl und dieser Sinn für Verantwortung? 

Jonas Krzyzanowski: Wo Gemeinschaft entsteht, ist es, finde ich, immer wichtig, dass sich jeder gesehen fühlt und dass man auch das Gefühl bekommt, dass man etwas bewirken kann. Das fing bei mir so in der achten Klasse im Gymnasium in Neuburg an. Ich habe mich entschlossen, bei der SMV mitzumachen und habe auch als Tutor gearbeitet. 

Schülersprecher Jonas in Aktion
Schülersprecher Jonas in Aktion

Da lernt man, mit jedem auf Augenhöhe zusammen zu kommen. Bei den Gruselnächten in der fünften Klasse hat man zum Beispiel Verantwortung für die Neuankömmlinge, die das Schulhaus und die ganze Atmosphäre noch nicht so gut kennen. Da ist es ganz wichtig, sie an die Hand zu nehmen. Und bei den ganzen Aktionen über das Schuljahr wie Parties organisieren, Klassensprecherseminar, Trachtentag, Nikolausbesuch oder ähnliches haben wir dann Stück für Stück mehr mitbekommen, wie spannend es ist, als Schüler Verantwortung zu übernehmen und an einem Entscheidungsprozess mitzuarbeiten. In der Klasse 9+ habe ich dann als Schülersprecher den nächsten Schritt gemacht. Das Organisieren, Nachdenken, Verstehenwollen und Verantwortung tragen – all dies war mir wichtig und hat mich sicher schon in dieser Zeit geprägt. Und je größer eine Gemeinschaft ist, desto wichtiger ist es, dass man jedem gerecht wird und dass es für jeden möglich ist, Dinge nachzuvollziehen. Auch für einen selbst. – Und so ist das auch heute, wenn ich als Schiedsrichter unterwegs bin oder als Polizist. 

Was trägt dich?

Jonas Krzyzanowski: Ich bin sehr dankbar, dass ich bei meinem Freundeskreis und bei meiner Familie immer den Rückhalt und das Verständnis bekomme, das mich beflügelt und mir gut tut. In der Arbeit ist es wichtig, dass ich manchmal den Dienst tauschen kann. Genauso springe ich für andere ein, wenn jemand von meinen Kolleginnen oder Kollegen mal nicht arbeiten kann. Das beruht auf Gegenseitigkeit und ohne diese Fairness und dieses „ich sehe dich und du siehst mich“ würde es nicht klappen. Weder im Beruf noch beim Schiri-Sein und auch nicht in der Familie oder im Freundeskreis. 

Ich möchte noch so lange wie möglich mein Leben so führen – als Polizist und als Fußballschiedsrichter. Beides erfüllt mich. Ich möchte auch jeden, der sich für Fußball interessiert und aktiv spielt, motivieren, einfach mal ein Spiel zu pfeifen. Denn es gibt manchmal schon jetzt Spiele, die nicht stattfinden können, weil keine Schiris da sind. Deshalb, auch wenn man jetzt kein aktiv aktiver Spieler mehr ist, sollte man sich es einfach überlegen, auch die Vereinsarbeit damit zu unterstützen. Denn in der Kreisliga kann man noch mit 45 Jahren als Schiedsrichter pfeifen. 

Neben diesem großen Stück meines Lebens und der Tätigkeit als Polizist bleibt mir kaum Zeit für Hobbys. Aber ehrlich gesagt ist das für mich auch nicht so wichtig. Denn ich fühle mich genau mit dieser Situation so wohl, wie sie ist. Ich bin hier sehr in Neuburg verwurzelt und möchte in Neuburg bleiben. Und ich freue mich und bin sehr dankbar, dass ich so oft in meinem Leben die Seite wechseln kann. Diese Flexibilität im Denken und Fühlen, diese Empathie für andere Menschen und diese Suche nach Entscheidungen, die verständlich und verlässlich sind und die verbinden statt spalten – das trägt mich. 

Interview: Alex Fitzek, Fotos: Jonas Krzyzanows