Der kleine Eichelbaum

Fridolin, die kleine Eichel

Fridolin ist eine Eichel und wächst auf einer großen mächtigen Eiche. Die starke Eiche heißt Hermine und steht auf einer Wiese am Waldrand. Es ist Sommer. Die große Eiche Hermine wiegt sich im Sonnenlicht. Ihre Blätter sind sattgrün und streckten sich der Sonnenwärme entgegen. Hermine ist sehr glücklich an ihrem Platz, denn von dort kann sie weit über die Felder schauen.

Ihr dicker, knorriger Stamm ist fest verwurzelt. Die Wurzeln sind zum Teil in der Wiese und zum Teil schon im Waldboden verwachsen. Hermine ist eine stolze Eiche, fühlt sich wohl an ihrem Platz und trägt reichlich Früchte, die Eicheln. Die kleinen Eicheln wachsen zu Hauf zwischen den Blättern an kleinen Stielen heran. Sie werden immer größer in ihren kleinen Körbchen.

Es ist Herbst. Es wird kühler und die Sonne hat keine Kraft mehr. Die Blätter auf den Bäumen färben sich langsam golden. Hermines Blätter werden auch bunt und ihre Eicheln werden reif. Sie haben schon eine schöne braune Farbe. Die Herbstwinde rütteln an der großen Eiche Hermine. Immer mehr Eicheln lassen sich mitsamt ihrem Körbchen auf die Erde fallen. Die einen kullern in die Wiese, die anderen auf den Waldboden.

Eine kleine Eichel Fridolin landete ganz weich im Moos direkt am Waldrand. Fridolin schaut sich um, sieht die vielen anderen Eicheln und denkt, „Gott sei Dank, bin ich nicht alleine“. Fridolin macht es sich bequem, er ist müde und möchte schlafen. Es wird schon ganz dunkel. Ein bisschen Angst hat er schon, denn hoch oben auf dem Baum war er sicher. Er weiß, dass auf der Wiese und im Wald viele Tiere wohnen. Fridolin hat sie alle von seinem Baumplatz oben schon beobachtet.

Die Rehmutter und ihre Kitze mit den weißen Flecken auf dem Rücken, den Fuchs mit seinem rotbraunen Fell und dem buschigen Schwanz. Die vielen kleinen bunten Vögel, oder die großen schwarzen Raben. Unheimlich sind Fridolin die großen Wildschweine. Sie kamen oft mit tiefem Gegrunze bis zu Hermines Baumstamm. Sie wühlten die Erde auf. Was suchten die da nur?

Fridolin schaut in die Nacht. Der Mond steht ganz groß am Himmel. Es ist eine klare Nacht. Fridolin kann schon von Weitem große Schatten sehen. Das tiefe Grunzen verrät ihm, es sind die Wildschweine. Sie kommen wieder auf Hermine zu und wühlen mit ihren Rüsseln in der Wiese. Sie finden dort Essbares, dachte Fridolin, als die Wildschweine zufrieden kauten. Und plötzlich weiß es Fridolin. Die Äste von Hermine ragen bis weit in die Wiese hinein und dort liegen auch Eicheln. Eicheln, wie Fridolin eine ist. Er schaut sich um, es gibt kein Versteck und er kann auch nicht weglaufen. Fridolin hat große Angst. Er duckt sich tief ins Moos und wartet ab, bis die Nacht vorbei ist.

Als die Sonnenstrahlen sich durch den Morgennebel schieben, ist Fridolin froh, dass die Tiere wieder zurück im Wald sind. Es war kalt heute Nacht. Hermine lässt ihre Blätter schon fallen. Zuerst einzelne und dann immer mehr. Fridolin sieht ihnen zu, wie eins nach dem anderen zu Boden tanzt. Ein schönes, ockerfarbenes kommt auf ihn zu und legte sich neben ihn. Danach landete auch ein rötliches und ein goldfarbenes Blatt bei ihm. Er ist nicht mehr allein. Das nächste Blatt deckte ihn zu. Fridolin freute sich. Er ist nun auch versteckt und fühlte sich wohlig eingekuschelt unter seinem Blätterdach. Nun kann Fridolin beruhigt schlafen.

Es ist Winter. Die ersten Schneeflocken wirbeln auf Fridolins Blätterdach. Als es richtig zu schneien beginnt, ist Fridolin warm eingepackt in seinem kleinen Iglu und kann in aller Ruhe auf den Frühling warten.

Es wird Frühling. Die Sonnenstrahlen haben schon wieder mehr Kraft und lassen den Schnee glitzern und funkeln. Der Schnee schmilzt und lässt die ersten kleinen Blüten aus dem Boden spitzen. Auch Fridolin blinzelt, noch ganz verschlafen, in das neue Licht. Seine Blätterfreunde sind über den Winter ganz matschig und braun geworden. Fridolin dagegen fühlt sich richtig ausgeschlafen und spürt die Kraft des Frühlings. Denn der Frühling erweckt alles wieder zu neuem Leben.

Fridolins braune Schale wird ihm zu eng. Sie platzt auf und zwei kleine zerbrechliche Keime drängen nach außen in die frische Luft. Der eine, ein brauner, greift nach dem Waldboden. Der andere, ein ganz zarter hellgrüner Trieb, streckt sich in den Himmel. Fridolin weiß jetzt, dass auch er ein Eichenbaum ist und vielleicht einmal so groß wie Hermine sein wird. 

Doch das ist noch ein weiter Weg. Die Tage vergehen und Fridolin lässt seine ersten hellgrünen kleine Eichenblätter in die Sonne schauen. Er ist überglücklich und er fühlt sich im Schutz der großen Eiche Hermine gut behütet. Er wächst jeden Tag ein ganz kleines Stück. Friedolin schaut sich auf der Wiese um und sieht, dass er nicht alleine ist. Eine ganze Reihe kleiner Eichelbäumchen recken ihre Köpfe aus dem Gras. Das ist schön, denkt Fridolin, dann habe ich bald viele Freunde.

Doch was muss Fridolin sehen. Eine Gruppe Spaziergänger laufen am Waldrand entlang und kommen näher. Fridolin schaut ganz erschrocken, denn die Wanderer treten auch auf die kleinen Eichelbäumchen. Die meisten werden umgetreten und knicken ab. Fridolin ist sehr traurig. Bin ich froh, denk Fridolin, dass ich so nahe am Waldrand stehe. 

Es kommt Wind auf. Die Eichelbäumchen-Freunde, die auch am Waldrand stehen, winken ihm mit ihren kleinen Blättchen zu. Der Wind schaukelt auch Fridolins Blätter hin und her. Eine richtige Windböe streift über die Wiese. Die kleine Eichenbäumchen ducken sich, damit der Wind über sie hinwegfegen kann. Fridolin sieht, wie ein kleines Blatt im Wind wirbelt. Einer seiner Freunde konnte es nicht bei sich halten. 

Fridolin hat starke Blätter. Sie werden schon richtig kräftig grün. Sein Stiel, an dem die Blätter wachsen, hält sie gut fest.

Es ist wieder Sommer. Fridolin genießt die Wärme der Sonne. Im Schatten von Hermine werden seine Blätter nicht welk. Friedolin hat immer Durst und freut sich daher auch auf den Regen. Der Moosboden, auf dem Friedolin zu Hause ist, saugt das Regenwasser auf, sodass er immer gut versorgt ist. So gedeiht Friedolin in diesem Sommer zu einer kräftigen Eichenpflanze heran. Es wird noch viele Sommer brauchen, bis Friedolin zu einer stattlichen Eiche wird. Doch das hat er sich ganz fest vorgenommen.

Text: Anni Stadlmeier, Fotos: Anni Stadlmeier, venars original AdobeStock, vaivirga AdobeStock