Josy Meidinger Erbe

Eine riesige Fundgrube

Hätte Josy Meidinger in Amerika gelebt, wäre sie vielleicht Comic-Zeichnerin geworden. Denn in ihren Scherenschnitten erzählt sie Geschichten, die auch in Comics Platz hätten: witzige Tiere, gestikulierende Menschen, romantische Naturszenen, kleine Fabelwesen, Fantasy. Die zweite Ausstellung im ihr gewidmeten Museum, dem Josy-Meidinger-Haus in Neuburgs Altstadt, heißt „Im Zwergenland“. Kleine Märchenwesen passen auf Schneewittchen auf, reiten auf einer Schnecke oder erleben aufregende Abenteuer. Ein Zwerg will auf einer Gans durch die Luft fliegen, doch die Gans schüttelt ihn ab, sodass er durch die Luft wirbelt – ein Mini-Comic von Josy Meidinger.
1890, gegen Ende des 19. Jahrhunderts, wurde der erste Comic veröffentlicht. 1899, also neun Jahre später wurde Josy Meidinger geboren und 29 Jahre später hatte sie ein Kunststudium abgeschlossen. Ihr künstlerischer Schwerpunkt wurde der Scherenschnitt, das akribisch genaue Ausschneiden kleiner Zeichnungen mit einer winzigen Schere. 1906 zieht die junge Künstlerin mit ihrer Familie nach Neuburg, wo sie schließlich bis 1971 lebt – zuerst im Residenzschloss, dann im Grünauer Schloss. Im ersten Stock des Museums ist jetzt ein Zimmer eingerichtet, das zeigt, wie die Wohnung der Künstlerin ausgesehen haben könnte. Alte Schwarzweiß-Fotos der Künstlerin zeigen sie in ihrer heimeligen Wohnung.
Für die zweite Ausstellung – die erste fand vor Weihnachten statt – hat Stadtarchivarin Monika Schierl eine Auswahl feiner Scherenschnitte zusammengestellt, die noch bis zum 2. Juni im ersten Obergeschoss des Museums zu sehen sind. Im zweiten Obergeschoss sind Exponate ausgestellt, die Josy Meidingers Neffe Elmar Gernert gesammelt hat: zeitgenössische Scherenschnitt-Werke verschiedener Künstler. Diese Bilder sind noch nicht genau erfasst, deshalb gibt es weder Titel noch Informationen dazu. „Doch wir wollen sie dem interessierten Publikum jetzt schon zeigen“, sagt Monika Schierl. Denn neben 1300 Meidinger-Originalen, inventarisiert von Elmar Gernert, gehören auch noch über 500 Werke anderer Künstler zum Erbe, das die Stadt Neuburg vom Freistaat Bayern geschenkt bekommen hat. Gernert hat nicht nur das Erbe der Tante bewahrt, sondern auch Kunstwerke gesammelt, die er teils in Versteigerungen erstanden hat. Auch über 1000 Fachbücher und viele Ordner müssen sortiert, registriert und ausgewertet werden. „Da liegt noch viel Arbeit vor uns“, so die Archivarin, „da werden wir Jahre dafür brauchen“. Es ist eine riesige Fundgrube und Monika Schierl ist schon mit Neugier und Begeisterung bei der Arbeit. Anfang Oktober will sie eine dritte Ausstellung zusammenstellen. Sie soll zur Veranstaltung Wort-Klang-Bild fertig sein. Das Thema ist noch nicht festgelegt, die Auswahl ist riesig.

Text und Fotos: Annemarie Meilinger