„Kunst ist eine universelle Sprache, die ohne Worte berührt“

Ein Stadtgespräch mit Ute Patel

Auf der ganzen Welt zuhause und in Schloss Grünau bei Neuburg daheim, verbindet Kulturpreisträgerin Ute Patel mit ihrer Kreativität auch die Chance, die Gesellschaft ein Stück mitzugestalten.

Albert Einstein hat einmal gesagt: „Es gibt zwei Arten sein Leben zu leben: entweder so, als wäre nichts ein Wunder, oder so, als wäre alles eines. Ich glaube an Letzteres.”
Ute Patel, die international renommierte Künstlerin in so vielen Disziplinen, die auf Schloss Grünau bei Neuburg fernab ihrer Geburtsstadt Bremerhaven zuhause ist, hat viel erlebt. Das Glück, ihr Leben frei gestalten zu können, ist ihr nicht in den Schoß gefallen. Sie hat sich behauptet, sie hat gekämpft. Aber sie hat sich den Blick auf das Wunderbare erhalten. Und zum Glück für alle Kunstbegeisterten überrascht sie immer wieder mit neuen Bühnen, auf denen sie Kreativität, Freiheit, Vielfalt und Lebensfreude inszeniert. Ob es ein Blatt Papier ist, eine Stufe auf einer Treppe, ein blühender Garten, ein Stück Seide, die Sehnsucht nach einer richtig guten Suppe, ein „alter Hut“ oder eine halbe Walnuss-Schale: Es gibt kaum etwas, aus dem Ute Patel nicht etwas gestalten könnte, was zur Interpretation, zum Genuss, zum Erweitern des Horizonts oder zum Verweilen und Nachdenken einlädt.

Wenn man dich fragen würde, was deine Kunst auszeichnet – was wäre die Antwort?

Ich denke, dass zwei verschiedene Impulse sich in all den Facetten, die Kunst für mich bedeutet, widerspiegeln.
Ich kannte Worpswede aus Kindertagen; wir wurden immer dorthin evakuiert, wenn es große Luftangriffe auf Bremerhaven gab. Ich war fasziniert von diesem Moor, das vielleicht auf den ersten Blick auch trostlos wirkt … und doch so viel Farbe und so viel Kunstsinn in die Welt getragen hat. Und als ich dann selbst dort ausstellen durfte, was ich wie einen Ritterschlag empfand, und Fachlehrerin für Kunst wurde und die Sehnsucht, die ich als Kind schon gespürt habe, meine Wahrnehmung und meine Gefühle ausdrücken, umsetzen und Gestalt werden lassen konnte, war ich so dankbar dafür, dass ich diese Freiheit für mich entdeckt hatte. Es hat mich sehr erfüllt, diese große Lebensfreude am Ausprobieren und Erschaffen, und das Bestehen auf der eigenen Würde, ernst genommen zu werden, an andere weiterzugeben – zuerst in der Schule, später dann auch als Illustratorin, als Ausstellende und Vortragende überall auf der Welt und sogar auf Kreuzfahrtschiffen, als Dozentin für Malerei oder bei der Ausbildung von Designern in Taiwan.
Es gibt so viele Menschen, die etwas tun müssen, was ihrem Wesen nicht oder nur in Teilen entspricht. Gerade in der heutigen Zeit muss man einfach Geld verdienen, um seine Familie und sich selbst zu versorgen. Man nimmt vielleicht einen Job an, der gerade nützlich ist oder perspektivenreich für die eigene Karriere ist. Aber es ist nicht der Traumjob. Es ist einfach eine Zwischenstation.

Das ist ja alles in Ordnung – aber wenn man eine Sehnsucht spürt, dass man einen Ausgleich braucht, dass da etwas fehlt, was komplett sein sollte – dann sollte man dieser Sehnsucht nachgehen. Ich glaube, dass ich im Laufe meines Lebens, und das empfinde ich als riesengroßes Glück, immer mehr leben konnte, was in mir steckt und was ich bin.


Für mich hat diese Sehnsucht sehr viel mit Kunst zu tun. Denn Kunst erweitert den Horizont. Jedes Kunstwerk lädt zu einem Rendezvous ein: Der Künstler und der Betrachtende begegnen sich. Indem man versucht, zu verstehen, was den Künstler oder die Künstlerin inspiriert hat, was er oder sie ausdrücken wollte, wächst ganz unwillkürlich der eigene Horizont. Man wird offen für Neues – man gewinnt an Vielfalt und Toleranz. Kunst ist das beste Gegengift gegen Diktatur und Hass. Darum haben die Nazis Bücher verbrannt und in ihren Augen „entartete Kunst“ zerstört.


Ich durfte mich ausprobieren, ich durfte entdecken, mit welchem Material und auf welcher Bühne ich mich ausdrücken wollte und konnte. Und ob das jetzt Pastell oder Aquarellmalerei war, das Arbeiten mit Stoff oder auch das Verfassen von Fachbüchern, später auch Karikaturen oder Kochbücher oder Kinderbücher gestalten: Meine Lebensgeschichte und das, was ich bin, konnte ich ganz vielfältig in das einfließen lassen, was ich kreativ gestaltet habe.


Andererseits habe ich auch ein bisschen ein „Florence Nightingale Syndrom“. Die große Krankenschwesterpersönlichkeit, die als Sinnbild für Pflege in die Medizingeschichte und Literatur Eingang gefunden hat, wurde davon angetrieben, Menschen zu helfen. Bei vielen kreativen Herausforderungen, denen ich begegnet bin, hatte ich auch das Bedürfnis, dass ich damit anderen helfen möchte. Zum Beispiel damals, als ich die Opernfestspiele in Grein in Österreich inszeniert habe, wollte ich eigentlich nur Kunststudenten helfen, eine Bühne zu finden, auf der sie zeigen konnten, was sie im Stande sind, zu leisten und wie weit sie eigentlich schon in ihrem künstlerischen Prozess sind. Einer dieser damaligen Studenten ist an der MET gelandet – ein anderer ist der größte Schubert-Interpret geworden …

Und als ich vor 24 Jahren die erste „Mut zum Hut“ aus der Taufe gehoben habe, ging es mir vor allem darum, einen Handwerksstand, der Kunst in sich trägt, einen Rahmen zu geben, der viele Menschen anspricht. Noch vor 100 Jahren war es ja selbstverständlich, immer und zu jeder Gelegenheit mit einem Hut aus dem Haus zu gehen. Ein Hut war überall dabei, und war viel mehr als eine Kopfbedeckung. Es war ein Accessoire – aber auch ein Statement.
Meine Idee war damals, den Hut wieder mitten ins Leben zu holen und auch das Modisten-Handwerk, das eines der herausforderndsten Handwerksberufe ist, in unsere kleine, aber so wunderbare kosmopolitische Stadt zu holen.

Jetzt ist es ja bald wieder soweit: Nach den Sommerferien beginnen die „HerrschaftsZeiten“ und „Mut zum Hut“ findet vom 13. bis 15. September statt. Seid Ihr gut vorbereitet?

Mit der weltgrößten Hutverkaufsschau, zu der sich „Mut zum Hut“ gemausert hat, ist es wie mit dem Fußball: „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“. So bereiten sich meine Tochter Isabel und ich fast ein Jahr lang auf die nächste „Mut zum Hut“ vor. Einige Jahre nach der Premiere haben wir die Veranstaltung mit „schmuck durch Schmuck“ erweitert.


Meine Tochter Isabel und ich werden seit letztem Jahr unterstützt von meiner Enkelin, Silva Behir, die unser Trio der Generationen bei „Mut zum Hut“ komplett macht. Silva arbeitet als Fotografin in Berlin. Doch meine Tochter Isabel, die auch das Ideenquell in der Rosenstraße besitzt, ist die Macherin bei der Programmgestaltung, der Organisation und der Kommunikation mit den Modistinnen und Modisten und allem, was bei „Mut zum Hut“ begeistert. Wir freuen uns schon sehr auf die Hutmodenschauen, die von Jürgen Niemeier für die Herren und Vicky Müller-Toùssa für die Damen moderiert werden. Außerdem werden wir dieses Jahr ganz bewusst auch Modedesigner in den Mittelpunkt rücken.

Besonders spannend finde ich diesen September das Projekt „Weibsbilder von der Rolle“. Eine Ausstellerin, die ganz fasziniert von meinen Sachen ist, hat mich schon jahrelang bekniet, die Weibsbilder weiterzuentwickeln. Und ich habe keine Lust gehabt. Jetzt hat sie mich endlich überredet … und auf einem luftig-leichten Stoff tummeln sich auf weißem oder schwarzem Untergrund die Hauptdarstellerinnen der Postkarten, die ich für die verschiedenen Geschäfte exklusiv entworfen habe. Bislang gab es sie nur handsigniert in einer kleinen Auflage. Jede Rolle Stoff ist 99 m lang und bietet unendliche Möglichkeiten für Damenblusen, Herrenhemden, Kleider, Röcke und und und. Wir sind dabei, die erste Kollektion zu entwerfen; einiges davon wird schon bei „Mut zum Hut“ sichtbar sein.
Neu ist auch, dass wir der Cosplay-Bewegung eine Bühne bieten werden – und dass man sich die Eintrittskarten bei „Theos Ticket“ im Internet bestellen kann. Und wer mehr zum Ablauf, zum ganzen Programm und zu den Höhepunkten von „Mut zum Hut“ wissen möchte, der sollte sich am besten unsere Homepage ansehen.

Was hat Dich in Deinem Leben besonders glücklich gemacht?

Es ist ein großes Glück, wenn man der Liebe seines Lebens begegnen kann. Noch mehr, wenn die Liebe auf Gegenseitigkeit beruht. Und wenn es einem vergönnt ist, sehr sehr lange zusammenzubleiben, ist das mehr, als man sich vom Leben erhoffen kann.
Mir ging es so mit meinem Ehemann Vallabh Patel. Wir haben uns sehr geschätzt und waren füreinander beste Freunde und, wie es Vallabh einmal scherzhaft gesagt hat, „unsere jeweils größten Fans“. Verbunden hat uns der Humor, der Optimismus und die Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Unterstützung für Menschen, denen es nicht gut geht. Ob hier mit der „Kartei der Not“ oder in Indien, wo wir eine Frauenorganisation gegründet haben oder Vallabh in seinem Urlaub jahrzehntelang kostenlose Operationen durchgeführt hat – wir haben uns gemeinsam für andere eingesetzt.
Und dass Vallabh in seiner ehrenamtlichen Tätigkeit als Stadtrat in Neuburg oder als Buchautor im Bereich der Philosophie und Ethik so viel Gutes getan oder mit „Du hast nur ein Leben für das Glück“ als erste wissenschaftliche Ethik bewirkt hat, ist auch heute, nachdem er 2017 viel zu früh von uns gegangen ist, ein großes Glück für mich. Denn neben der persönlichen großen Nähe, die ich nach wie vor spüre, wenn auch auf einer anderen Ebene, begegnen mir so oft Spuren seines Wirkens in Neuburg und darüber hinaus.
Vallabh und ich haben vier wunderbare Kinder und eine wunderbare Enkeltochter. Auch das ist ein großes Glück – hoch fünf!

Dankbar gemacht hat mich aber auch Einiges: Ich habe mich schon sehr darüber gefreut, vom Bayerischen Rundfunk zu der sehr beliebten und sehr inspirierenden Serie „Lebenslinien“ eingeladen worden zu sein. Aber dass diese Folge so hohe Einschaltquoten hatte und einige Male wiederholt wurde, das hat mich dann wirklich vom Hocker gehauen. Denn ich habe ja weder einen Kontinent entdeckt noch bahnbrechende wissenschaftliche Forschungen unternommen. Trotzdem ist es schön, dass es Menschen schätzen, wenn man sich begegnet.

Was macht Dich in Neuburg so glücklich, dass Du Dich hier zuhause fühlst?

Ach, da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll! Neuburg ist eine Stadt mit europäischer Vergangenheit, eine Stadt des Kunstsinns und der Weltoffenheit, die einen bei der ersten Begegnung mit ihrem Charme überwältigt.
Und in Neuburg gibt es ja auch die spontanen Begegnungen und Gespräche, die über den Tag hinausgehen – auf dem Wochenmarkt, bei einer Vernissage oder einem Konzert. Auch wenn die Welt um uns herum in den letzten Jahren immer mehr in einen deprimierenden Zustand geraten ist, der es einem schwer macht, die Nachrichten zu verfolgen: In dieser kleinen weltoffenen Stadt Neuburg leben wir im Vergleich zu den Brennpunkten dieser Welt auf einer Insel der Glückseligkeit. Ich kenne so viele Freunde und Bekannte aus Großstädten, die von Neuburg absolut begeistert sind.
Dass „Neuburg Kultur ist“, ist uns allen über die Jahrhunderte hinweg schon von Pfalzgraf Ottheinrich in die Wiege gelegt worden – und hat sich auf diesem Weg unendlich vervielfacht. Internationale Aussteller und Künstler finden – auch dank des überaus feinsinnigen Kulturnetzwerks, das Neuburg auszeichnet – immer wieder den Weg in die Residenzstadt. Birdland Jazzclub, Sommerakademie, Ensemble del Arte, der Neuburger Kunstkreis, die Städtische Tanzschule, die Musikschule, die Neuburger Stadtkapelle, die Galerie von Barbara Nassler, Toni Lageder, Kerstin Schulz und ihre Band, Olivia Friemel und ihr Mann James, Stefan Wanzl-Lawrence und Susanne Pohl, Viktor Scheck und und – es beruhigt mich, inspiriert mich, beglückt mich, dass Kunst und Kreativität eine universelle Sprache sind, die uns alle berührt. Bei „Kreativität und Kunst” möchte ich auch die vielen Vereine von Verkehrsverein über Verschönerungsverein, die Neuburger Stadtführer bis zum Brückenkollektiv, bei dem ich besonders Kerstin Egerer oder Lucie Schafferhans schätze, beispielhaft für das Engagement von so vielen künstlerisch Tätigen hervorheben.

Wer Deine Kunst liebt und sammelt, kann gar nicht genug davon bekommen. Was gibt es denn für Möglichkeiten, Ute Patel übers Jahr zu begegnen?

Da „Mut zum Hut“ nach drei Tagen voller Intensität und Lebensfreude so schnell wieder vorbei sind, gibt es glücklicherweise zwei Adressen in Neuburg, wo man mir immer, wenn einem danach ist, begegnen kann.
Isabel Patels „Ideenquell“ in der Rosenstraße ist DIE Adresse für die Kunst in allen Dingen, die mich ausmachen und begeistern. Hier kann man in mein kleines Universum der Kreativität eintauchen und sich tummeln in der Vielfalt von (Kinder-)Büchern, Karikaturen und Kochbüchern, Kalendern und Kunstdrucken in limitierter Auflage, von Stoffen und Geschenkpapier, Papierkunst, Schmuck, exquisiter Kleidung, Porzellan oder Accessoires und und und. Es gibt so viel, was man sich vielleicht nach Hause holen möchte.
Darüber hinaus gibt es meinen wunderschönen Garten, der gerade jetzt im Sommer mit seiner Fülle reich beschenkt, und mein Zuhause, das mit all den Wandmalereien, Stoffgestaltungen, Drappierungen, Arrangements, Dekorationen und Accessoires schon fast ein kleines, aber sehr lebendiges Museum ist.
Im Turmraum von Schloss Grünau habe ich seit einigen Monaten eine ständige Ausstellung inszeniert. Hier stehen, hängen und liegen meine Arbeiten aus ganz verschiedenen Schaffensphasen. Aquarelle, Pastelle, Karikaturen, Seidenmalerei – aber auch Miniaturen aus Papier und Seide, Papierskulpturen und Porzellan. Nach telefonischer Vereinbarung ist es möglich, dass sich diese Tür zu meinen „Kunst-Stücken“ und meinem Leben für ein paar Stunden öffnet.

Weitere Informationen unter www.mutzumhut.de
www.isabel-patel-ideenquell.de

Engagiert sich auch sozial in vielen Bereichen.

„Und das ist noch längst nicht alles …“

Ihre berufliche und künstlerische Laufbahn begründete Ute Patel mit einer grafischen Ausbildung in ihrer Heimatstadt Bremerhaven. Mit einem außergewöhnlichen Talent und ihrer Liebe zur Kunst, sowie einer überzeugenden Stilsicherheit und Originalität, arbeitete sie bald als Fachlehrerin für Kunst am Gymnasium Langen. Auch im Auftrag des Rundfunks gab sie Unterricht im Aquarellzeichnen. Dabei ist sie keineswegs auf Malerei fixiert.
Sie entwarf auch Kleider für Fernsehmoderatoren, sowie diverse Opernproben und gestaltet für namhafte Porzellanmanufakturen exklusives Porzellan. Ihre persönliche Handschrift als Raumdesignerin findet sich im „Café am Theater“ in Neuburg und im „Café am Münster – Kaffee & Kunst“ in Dinkelsbühl sowie bei privaten Auftraggebern, in Neuburg unter anderem bei Familie Bößhenz. Mit dem von ihr entwickelten Konturenstift revolutionierte sie die Seidenmalerei.
Bei alledem hat sie sich immer ein Herz bewahrt für Menschen, die auf Hilfe und Unterstützung anderer angewiesen sind. Gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Urologen Prof. Dr. Vallabhbhai Patel, sind das unter anderem die „Kartei der Not“ und eine indische Frauenorganisation.
2004 verlieh ihr die Stadt Neuburg den Kulturpreis. 2013 wurde ihr der Kunst- und Kulturpreis des Altmühltals
verliehen. Die UNESCO würdigte ihr Lebenswerk und ihr soziales Engagement mit dem „1. Preis für Ehrlichkeit“.
Seit 24 Jahren veranstaltet sie in Neuburg die international bekannte Hutschau „Mut zum Hut“. Hier gelingt es ihr immer wieder, die renommiertesten Modisten und Hutmacher zu verpflichten. Das bunte Programm lädt Hutbegeisterte aus dem ganzen deutschsprachigen Raum ein, die Ottheinrichstadt zu besuchen.

Text: Alex Fitzek, Fotos: Vallabh Patel, Sylva Behir, Ulli Hamm